CANTIGAS DE AMIGO

Sanstierce und Gäste

Mittelalterliche und sephardische Frauenlieder aus Frankreich und der iberischen Halbinsel

Frauenlieder gehören zu den ältesten poetischen Zeugnisen, die uns schriftlich überliefert sind. Es sind Lieder, in denen das sprechende/singende „Ich“ eine Frau ist. „Chansons de femmes“, so heißen die Lieder der Trouvéres aus Sicht der Frauen, wobei es als sicher gilt, daß sie von Männern geschrieben und auch wahrscheinlich vorgetragen worden sind. Nur in der Provence gab es die einzigen Komponistinnen, die Trobairitzen, von denen wir heute wissen: Azalais de Porcairagues, Maria von Ventadorn und die Comtessa Beatritz de Dia. Und nur von letzterer gibt es auch eine zum Text überlieferte Melodie, das berühmte: „A chantar“. Die weiteren Dichtungen der Trobairitzen sind uns ohne Melodien überliefert, was eine Trobairitz des 21. Jahrhunderts anregte Melodien zu suchen oder selber zu erfinden, so dass wir neben Beatriz de Dia auch weitere Lieder don Frauen hören werden .

Unsere musikalische Reise setzt sich fort in Portugal bzw. Galizien – dem Land der Dichter bis heute! Hier hat bis in die Renaissance hinein die mittelterliche Vortragsweise der Sänger dominiert und darum sind auch viele Lieder einstimmig überliefert. Und schon in dieser frühen Zeit findet sich das Phänomen der „saudade“, dieses unübersetzbare portugiesische Wort, was sich am ehesten noch mit „unerfüllte Sehnsucht“ übersetzen läßt. Hier begegnen wir den „Cantigas de Amigo“ von Martín Codax. Er dürfte um das Jahr 1230 in de Provinz Galicia geboren sein. Über Leben und Wirken dieses iberischen Trobadors ist nichts bekannt und ist der einzige iberische Dichter der frühen Zeit, von dem Melodien überliefert sind. Die Sprache der „Siete Canciones de Amigo“ ist das Galizische, ein spanisch-portugiesischer Dialekt. Auch die berühmte Liedersammlung des Königs Alonso el Sabio, die „Cantigas de Santa Maria“, sind in galizischer Sprache verfaßt.

Unsere Reise endet im Mittelmeerraum, wohin die Sepharden nach ihrer Vertreibung aus Spanien im Jahre 1492 geflüchtet sind. Vor allem rund um den Mittelmeerraum siedelten sie sich an und lebten in ihrer jüdisch-spanisch Tradition weiter. Und es waren vor allem die Frauen, die die jüdische Liedtradition pflegten und von Generation zu Generation weitergaben. In den fünziger Jahren des 20. Jahrhunderts machte sich der Musikologe Isaac Levy in diese Länder auf und hob einen wahren Schatz: „Ich besuchte eine alte Frau nach der anderen, Dorf um Dorf, um aus ihren Mündern ihre Lieder zu hören und festzuhalten. Sie werden heute noch in Griechenland, Türkei, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien und Rhodos gesungen von den Frauen gesungen.“

Die Lieder des Mittelalters waren – wie die mittelalterliche Lyrik überhaupt – nicht für die Lektüre bestimmt, sondern für den öffentlichen Vortrag. Sie wurden gesungen und von Musikinstrumenten begleitet. Wie die Texte mit Musik realisiert wurden, welche Rolle die Improvisation spielte und wie dies alles bei der Aufführung der Lieder zusammenwirkte, ist schwer zu ermitteln und nur in Ausnahmefällen sind die Meldodien zu den Liedern überliefert. Darum ist die Improvisation auf der Grundlage des Erforschens der mittelalterlichen Quellen die Basis meiner Arbeit. Ein Grund auch dafür, warum das Aufführen und Hören dieser mittelalterlichen Musik auch immer ein Hier und Jetzt beinhaltet.

Sanstierce (بلا بعداً ثلاثياً) – Martín Codax – Cantigas de Amigo (excerpts)