SCHWARZE TRÄNEN

Sanstierce und Ars Choralis Coeln

Musik für die Heilige Ursula

  • Kölner Erzdiözesan- und Dombibliothek (13. Jh.)
  • Anna von Hachenberch Codex aus dem Museum Schnütgen (um 1520)
  • Riesencodex (Hildegard von Bingen, 1098-1179)

Elf schwarze Tropfen – in Köln spricht man auch von Tränen – zieren das Kölner Stadtwappen und erinnern damit an die Heilige Ursula, die Tochter des Königs von Britannien, Maurus. Zahlreiche Legenden ranken sich um die Kölner Stadtpatronin. Weniger bekannt ist, daß wir es der Mystikerin Elisabeth von Schönau zu verdanken haben, daß aus dieser lokalen Legende mehr wurde. Elisabeth (1129-1164) war im Mittelalter wesentlich bekannter als Hildegard von Bingen (1098-1179), die mit ihr im Kontakt stand. Beide Mystikerinnen waren Beneditkinerinnen und lebten nicht weit voneinander entfernt. Elisabeth entstammt wie Hildegard einer adeligen rheinländischen Familie und wurde im Alter von zwölf Jahren dem Kloster Schönau im Taunus übergeben, wo sie fortan ihr ganzes Leben verbrachte. Ihre Visionen wurden von ihrem Bruder aufgezeichnet: das Buch der Gotteswege (Liber viarum dei) und das Buch der Offenbarungen der Elisabeth über das Heer der Kölner Jungfrauen (Liber revelationum Elisabeth de sacro exercitu virginum Coloniensium). Letzteres schien eine wesentliche Frage der Zeit zu beantworten: handelte es sich bei den bei Arbeiten ab 1106 außerhalb der Kölner Stadtmauern in einem alten römischen Friedhof gefundenen Knochen tatsächlich um die Heilige Usula samt ihrer Schar? Damals zweifelten nur wenige daran, daß es sich bei diesen Knochenfunden um Ursula und ihre Gefährtinnen handeln mußte, da sie in Köln und im gesamten Rheinland schon lange vereehrt wurden. Aber angesichts der Menge der Knochenfunde kamen Fragen auf – und (kölsche) Lösungen wurden gefunden: „Man begann, sich Namen für die angenommenen Gefährtinnen Ursulas einfallen zu lassen und für sie Verwandte zu erfinden, dann um die beachtlichen Reste männlicher Gebeine zu rechtfertigen, eine ganze Eskorte von Königen, einen Papst, Kardinäle und Bischöfe, die ihr Los mit den Jungfrauen geteilt hätten.“ Deutzer Mönche, denen die Verwaltung der Funde übertragen worden war, wandten sich, unsicher geworden, 1156 an die Visionärin im Taunus mit der Bitte, mehr über die Namen und das Leben der Mäyrtyrerinnen und Märtyrer zu erfahren. Die Visionärin sah in ihren Schauen bestätigt, daß es sich um Ursula und ihre Gefährtinnen handelt:

„Euch, die ihr fromme Zuneigung zu dem hegt, was heilig ist, eröffne ich, Elisabeth, die Dienerin der Mägde des Herrn, die in Schönau leben, was mir durch die Gnade Gottes über jenes jungfräuliche Heer der heiligen Königin von Britannien Ursula geoffenbart wurde, das in einem Vorort der Stadt Köln für den Namen Christi in den alten Tagen das Martyrium erlitten hat...“.

Damit war für die Kölner ein unermeßlicher Reliquienschatz guten Gewissens verfügbar – trotz schon damals aufkommender Kritik. Obwohl Papst Bonifatius IX. 1381 jede weitere Verehrung von Ursula-Reliquen untersagte, blühte der Handel mit ihnen in Köln weiter und verhalf der Stadt damit zu Ansehen und Reichtum. Die Kopfreliquiaren der 11.000 Jungfrauen- die mit ihrem Lächeln sogar den Typ der rheinischen Madonnendarstellungen beeinflußten! – finden sich nach wie vor in der Goldenen Kammer der Kirche St. Ursula.

Zur Musik, die ich für dieses Programm ausgesucht habe:

Hildegard von Bingen hat uns viele Musik hinterlassen, aber nur ein Offizium, nämlich das der 11.000 Jungfrauen, woraus ich Antiphone, ein Responsorium und ein Hymnus ausgewählt habe. Aber natülich finden sich auch in Köln selber Handschriften mit Offizien der Ursula. Einmal wird man in der Dom- und Diözesan Bibliothek fündig mit einer prächtigen Sequenz, inder, gemäß der Geschichte von Elisabeth von Schönau, Bischöfe, Brüder selbst der Papst gemeinsam mit Usula auf dem Rhein gereist sind. Und auch das Schnütgen Museum, ein ehemaliges Frauenstift, besitzt einen Codex, der sogenannte Hachenberch Codex, in dem sich auch ein Ursula-Offizium befindet. Diese beiden Kölner Offizien finden sichtatsächlich nur in Köln.

Nun wird sich vielleicht der oder die geneigte LiebhaberIn Alter Musik verwundert fragen, wieso ich zur Umsetzung dieser Musik einen irakischen Musiker, Bassem Hawar, hinzuziehe, der in Bagdad Djoze studiert hat und ein Meister des Maqam-Spielens ist. Abgesehen davon, dass er ein hervorragender Musiker ist, mit dem ich äußerst gerne zusammen arbeite, gibt es einen weiteren Grund. Die Geschichte der Ursula handelt von barbarischen Heiden, den Hunnen: sie haben Ursula und ihre Schar grausam ermordet. Mir erscheint es fast als ein archaisches Opfer-Ritual: die Jungfrauen müssen sterben durch die Hand der Barbaren. Doch was bedeutet das Wort „Barbar“ eigentlich? Der Begriff des Barbaren hat bis in unsere heutige Zeit viele Bedeutungswandel erfahren. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Altgriechischen: βάρβαρος (bárbaros) und findet sich zum ersten Male in der „Illias“ bei Homer und zwar in Bezug auf die „barbarisch sprechenden“ kleinasiatischen Karer. Das Wort bedeutete im Ursprung also: jemand der meine Sprache nicht spricht und nicht versteht, also alle Nichtgriechen, alle Fremden. Dies war zunächst kein Ausdruck von Verachtung. Heute verstehen wir darunter wertend einen rohen, empfindungslosen und grausamen Menschen ohne Kultur, durchaus verbunden mit einer Angst vor dem Fremden und den Fremden.

Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Fremde meistens als gar nicht so fremd. Als Beispiel mag mein Metier, die Musik, herhalten: Die Musik der Gregorianik und des europäischen Mittelalters, auf dem die europäische sehr erfolgreich Musikgeschichte aufbaut, entstammen den gleichen Wurzel wie die irakische und orientalische Musik. Wir teilen viele Gemeinsamkeiten, viele Fremdheiten, doch es gehört zusammen, es passt zusammen. Und mehr noch: wir brauchen das Fremde, um die Welt neugierig kennen zu lernen und zu verstehen.

PROGRAMM

Invitatorium de undecim milibus virginibus

Regem regum dominum
Kölner Dom- und Erzdiözesanbibliothek, Codex 263, um 1310
Psalm 94: Venite exultemus

Antiphonæ de undecim milibus virginibus

Aer enim volat
Hildegard von Bingen (1098-1179), Dendermonde
Psalm 112: Laudate pueri Dominum

Studium divinitatis
Dendermonde
Psalm 116: Laudate Dominum omnes

O rubor sanguinis
Riesencodex
Psalm 145: Lauda anima mea

O flos campi
Hachenberch Codex, Bd.b, um 1520
Psalm 150: Laudate Dominum in sanctis eius

Interludio instrumentale

Es war einmal …
Bassem Hawar

Hymnus de undecim milibus virginibus

Gaude celestis curia
Kölner Dom- und Erzdiözesanbibliothek, Codex 1157, 15./16. Jh.

Sequentia de undecim milibus virginibus

Alleluya In supernis concors choris
Kölner Dom- und Erzdiözesanbibliothek, Codex 1150, um 1360

Interludio instrumentale

Media autem nocte
Lucia Mense

Responsoria de undecim milibus virginibus

O celestis aule rose
Hachenberch Codex

Spiritui Sancto
Hildegard von Bingen, Dendermonde

Interludio instrumentale

Lamento al mare
Bassem Hawar

Hymnus de undecim milibus virginibus

Cum vox sanguinis
Hildegard von Bingen, Riesencodex